Deutsch (original), english below
Heute ist der 25. April 2023
Ich bin gerade zurück von zwei Wochen Ferien in meiner Heimat am Zürichsee, wo die Bäume und Sträucher um die Wette Blühen und die Wiesen strotzen vor grün dass sie demnächst zum ersten Mal gemäht werden können.
Dementsprechend tief fällt mein Seufzer aus, als ich gestern zurückkomme und schon in Oslo mit grauem Schneegestöber empfangen werde. Es sieht heute nicht besser aus und während ich durch die Schneeflocken auf die Eiszapfen blicke, die sich vom Dach wölben, beschliesse ich den norwegischen Frühling einmal in Worte zu fassen.
FRÜHLINGSPOST AUS DEM TRAUMTAL
Die Eiszapfen wölben sich wie gläserne Krallen über die Wellblechabsätze an den Dachrändern und zeigen treffend, wie freundlich sich die beständige Schneedecke um diese Jahreszeit meinem Gemüt gegenüber noch verhält.
Frühling ist die taffeste Zeit für mich hier im Norden.
Manche würden sagen der Winter ist hart. Dunkel und mit Minusgraden bis unter 25. Im Winter bin ich darauf eingestellt. Die Kälte ist trocken und das Leben spielt sich hauptsächlich drinnen um den warmen Ofen ab. Du willst auch gar nicht zu lange draussen sein. Aber wenn, dann zaubert die Natur die schönsten pastellenen Farbstimmungen an den Himmel. Sie pulvert glitzernde Schneesternchen aus der Luft und macht die Zeit vor dem Kamin kuschlig. Du hast Zeit zu entspannen und dich vom Wettrennen in der Welt zurückzuziehen. Das tägliche Holz und Heu schleppen hält dich draussen in Bewegung und (mal abgesehen von Händen und Füssen) angenehm warm.
Die Pferde gucken flauschig aus ihrem Fell und ab und zu erspäht man eines der Eichhörnchen bei der Futtersuche.
*perfekt nachromantisiert*
Dagegen ist der Frühling im Norden nasskalt und wechselt von knallhell zu matschbraun. Gerne auch mehrmals im Wechsel, so wie dieses Jahr. Der Schnee hält sich unangenehm lange, während in mir die Lebensgeister erwachen und nach Taten schreien.
Heute hängen Wolken über dem ganzen Tal und es flockt unaufhörlich auf die wieder weisse Landschaft nieder. Rund 40 Centimeter hat es vergangene Woche nochmals drauf geschneit. So dass Wälder und Dächer wieder aussehen wie im Winterwunderland. Ein nasskaltes Wunderland, das sich nicht entscheiden kann ob es taut oder friert.
Der Frühling im Norden lässt sich nicht hetzen. Er pendelt gemächlich zwischen Schneematsch und Frühlingssonne hin und her und kombiniert die Auswahl gelegentlich mit Eisflächen und abtrocknenden Stellen.
Frühling im Norden ist kein Frühling, sondern der schmerzhaft langsame letzte Atemzug des Winters, der einem merklich zäher durch die Seele streift, als dass er dem Körper noch etwas anhaben könnte.
Der Frühling im Traumtal dabei entblösst den Fluss in dunkler Erscheinung und lässt ihn die schillernden Brocken blauen Eises, die noch von kalten Monaten zeugen, zu grauen Klumpen ertränken.
Der tropfende Frühling bewegt die Böden und lässt mit jedem Jahr den Unterstand vor der Scheune noch etwas schiefer werden. Er zaubert Matsch an Stellen, die den Rest des Jahres trocken liegen und lässt nicht nur die Pferde, sondern auch mich buchstäblich mit den Hufen scharren.
Der Frühling im Traumtal macht erbarmungslos aufmerksam auf all die Misthaufen, die leise von der Schneedecke umhüllt worden sind.
Er macht auch Hoffnung, indem er der Natur ihren bezaubernd wilden Duft zurück gibt und gleichzeitig den Duft von Verwesung kreiert. Als könne das so lange tiefgefrorene Bodenleben die tierisch erzeugten Nährstoffe noch kaum verdauen.
Der Frühling im Norden ist wie die letzte Prüfung vor dem lang ersehnten Sommer. Der Vorbote der Explosion an Grün, die mir jedes Jahr wie ein unmögliches Wunder erscheint.
So wallt nun auch in mir wieder etwas Elan auf, während ich unter dem Dachvorsprung stehe und mir vorstelle, wie die Eiszapfen ein für allemal vom Wellblech rutschen und am Boden zerschellen um sich in Schmelzwasser zu ergiessen und sich die Birken im Wald in ihrem Grün ausstrecken, als wäre der lange Winterschlaf ein reines Auftanken von Kraft gewesen.
In diesem Sinne freue ich mich mit allen, die bereits Frühling haben und beginne drinnen ein paar Samen in die Erde vom Anzuchtkasten zu bohren. An die Freunde im Norden möchte ich sagen: Wird schon. Bestimmt noch dieses Jahr.
Vivienne
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Today its the 25th of April 2023
I’m just back from two weeks’ holiday in my home on Lake Zurich, where the trees and bushes are in full bloom and the meadows are so green that they will soon be mown for the first time.
My sigh is accordingly deep when I return yesterday and am greeted by grey snow flurries in Oslo. It doesn’t look any better today, and as I gaze through the snowflakes at the icicles curving from the roof, I decide to put Norwegian spring into words for once.
A SPRING LETTER FROM DREAMVALLEY
The icicles curl like glass claws over the corrugated iron heels on the edges of the roof, aptly demonstrating how friendly the steady blanket of snow still behaves towards my mind at this time of year.
Spring is the toughest time for me here in the north.
Some would say winter is tough. Dark and with sub-zero temperatures to below 25, winter is what I’m prepared for. The cold is dry and life is mainly indoors around the warm stove. You don’t want to be outside for too long. But when you do, nature comes up with the most beautiful pastel colour moods in the sky. She pulverises glittering snow stars from the air and makes the time in front of the fireplace cosy. You have time to relax and retreat from the race in the world. Carrying wood and hay every day keeps you moving outside and (hands and feet aside) nice and warm.
The horses peek fluffily out of their fur and every now and then you spy one of the squirrels searching for food.
*perfectly romanticised*
In contrast, spring in the north is cold and wet and changes from bright to marshy brown. It can change several times, as it does this year. The snow lingers for an uncomfortably long time already, while my spirits awaken and cry out for action.
Today clouds hang over the valley and it flakes down incessantly on the once again white landscape. It snowed another 40 centimetres last week. So that the forests and roofs look like a winter wonderland again. A cold and wet wonderland that can’t decide whether to melt or freeze.
Spring in the north cannot be rushed. It shuttles leisurely back and forth between slush and spring sunshine, occasionally combining the choice with patches of ice and drying spots.
Spring in the north is not spring at all, but the painfully slow last gasp of winter, which is noticeably bothering the mind more than it could be still doing to the body.
Spring at Dreamvalley thereby exposes the river in dark appearance and lets it drown the shimmering chunks of blue ice that still bear witness to cold months into grey lumps.
The dripping spring moves the soil and makes the shelter in front of the barn a little more crooked with each passing year. It conjures up mud in places that lie dry the rest of the year and literally makes not only the horses, but also me, „scrape their hooves“ as we would say in german.
Spring in Dreamvalley mercilessly draws attention to all the piles of horsedung that have been quietly covered by the blanket of snow.
It also gives hope, restoring to nature its enchantingly wild scent and at the same time creating the smell of decay. As if the soil life, frozen for so long, could still barely digest the animal-produced nutrients.
Spring in the north is like the last test before the long-awaited summer. The harbinger of the explosion of green that seems like an impossible miracle to me every year.
So now, too, a bit of verve is welling up in me as I stand under the roof and imagine the icicles sliding off the corrugated iron once and for all and shattering on the ground to pour into meltwater and make the birches in the forest stretch out in their green as if the long winter’s sleep had been a pure refilling of strength.
In this sense, I rejoice with all those who already have spring and start drilling a few seeds into the soil of the seed tray indoors. To my friends in the north I would like to say: It will be alright. This year for sure.
Vivienne